Endlich rollt der Ball

Nach dem Rauswurf von Christian Wörns steht beim Länderspiel der Deutschen in Italien die Abwehrreihe unter besonderer Beobachtung

VON MARKUS VÖLKER

Winterpause, das klingt nach Ruhe und innerer Einkehr. Man igelt sich ein, sucht wohlige Wärme, schaltet ab. Ja, man lässt die Dinge auf sich zukommen und wartet auf den Frühling, auf eine Zeit, die mehr verspricht. In der Winterpause passiert nicht viel, sollte man denken. Wenn Fußballer aber von der Winterpause reden, dann meinen sie das Gegenteil einer schläfrigen Auszeit. Hier steht die Winterpause für: Palaver, Zwist und Rangelei. Beteiligt sind Jürgen Klinsmann und das Organisationskomitee der Weltmeisterschaft. Beide, Bundestrainer und OK, driften nicht etwa in ruhiger Fahrt auf das Größtereignis in deutschen Landen zu, nein, die Aufregung ist jetzt schon so groß wie bei einem malaysischen Hahnenkampf. Dabei dauert es noch 100 Tage, bis die WM angepfiffen wird. Bis zum 9. Juni gewinnen die Verteilungsstreitigkeiten an Schärfe. Kritiker wetzen ihre Messer. Die Gurus warten auf ihren Einsatz.

Jürgen Klinsmann behagt diese Logik „in keinster Weise“. Akzeptieren muss er sie. Als handle es sich um eine Naturgewalt, die ihre Kräfte entfaltet, sagt Klinsmann: „Es wird keine ruhige Zeit mehr sein in den nächsten 100 Tagen. Das bringt die WM mit sich, dass Dinge kontrovers diskutiert werden.“

Was hat sich in den vergangenen Wochen nicht alles zusammengebraut. So etwas wie ein Gewitter mit gelegentlichen Kugelblitzen und spontanen Donnerschlägen. Klinsmann wird froh sein, dass am Mittwoch der Ball wieder rollt, seine Mannschaft wenigstens für 90 Minuten zum Eigentlichen findet. Ein Länderspiel der Italiener gegen das DFB-Team steht an. In Florenz wird ab 21 Uhr (ARD) gekickt. Klinsmann fordert einen Sieg. Ein Erfolg gegen einen Großen des Fußballs könnte die Probleme der letzten Zeit übertünchen, gewissermaßen einen Firniss des Vergessens über die wahnwitzigen Winterwochen legen – über den Kartenstreit, die Warentest-Diskussion, die Peters-Personalie, den Bundeswehr-WM-Einsatz und auch über die Task-Force-Formation.

Der aktuellste Fall, der des Christian Wörns, liegt nur wenige Tage zurück. Weil der Stopper der Dortmunder Borussia nicht fürs Länderspiel nominiert worden war, protestierte der 33-Jährige heftig: „Wenn man über deutsche Innenverteidiger spricht, mag es ja sein, dass ich der Einäugige unter den Blinden bin. Dann muss man den Einäugigen aber zumindest in den WM-Kader aufnehmen“, teilte er der Bild-Zeitung mit. Damit nicht genug, geißelte er die Vorgehensweise des Bundestrainers als „unfair“, „unehrlich“ und „link“. Klinsmann ließ sich das nicht gefallen und schloss den Manndecker aus dem Team aus. Anfangs murrte Kapitän Michael Ballack noch („Christian war ein wichtiger Bestandteil der Nationalmannschaft“). Nach einer Unterredung (vulgo: Gehirnwäsche) in Frankfurt am Main hörte sich das anders an. Er, Ballack, könne die Art und Weise der Wörns-Kritik nicht verstehen, sehr wohl aber die Vorgehensweise Klinsmanns, der die Reaktion des Ausgebooteten als „Frechheit“ und „Respektlosigkeit“ bezeichnet hatte: „Das ist keine Basis. Er hat nur an sich selbst gedacht.“

Nun ist Wörns ein Spieler, den das Team nicht braucht. Manch einer hielt die Berufung der Altnationalen Wörns und Hamann in den Kader für den größten Fehler, den Klinsmann in seiner Amtszeit begangen habe. Ganz so verwerflich war der Test der beiden im Herbst sicherlich nicht. Widersprüchlich wirkte er dennoch, da Klinsmann konsequent verjüngen wollte. Wörns hat nun seine Chance gehabt – und vor allem im Spiel gegen die Niederlande gründlich verpatzt. Gegen Arjen Robben wirkte er überfordert, langsam, wenig wendig, im Spiel nach vorn unschlüssig. Er mag ein paar Kniffe drauf haben, den gegnerischen Stürmer in Ringermanier bearbeiten können, in der Viererkette, wie Klinsmann sie interpretiert, sind hünenhafte, raumorientierte Abwehrrecken gefragt. Manndecker, die dem Stürmer bis ins Mittelfeld nachlaufen, passen nicht in dieses System.

Die Abwehr wird also wieder einmal unter scharfer Beobachtung stehen: Huth, Mertesacker, Friedrich und Lahm. „Natürlich wird der Druck sehr groß sein, der auf dem Abwehrverbund lastet, weil der Fokus durch die ganze Diskussion auf den hinteren Bereich gerichtet ist“, sagt Metzelder, der beim BVB derzeit nicht zur Startelf gehört – im Gegensatz zu Lahm. Der Außenverteidiger des FC Bayern München ist eine Verstärkung für die Hintermannschaft, keine Frage. Zum Fall Wörns hat Lahm übrigens eine ganz eigene Meinung: „Ein Spieler hat vielleicht ein bisschen falsch reagiert, und deswegen ist er jetzt nicht mehr im Kader. Das ist nicht meine Sache“, sagte er in der SZ. Diesen Pragmatismus weiß Klinsmann sehr zu schätzen, gerade nach all dem Wirbel in der Winterpause.